Samstag, 21. Januar 2012

Helges letztes Festival

Aska nimmt sich einen Edding, sie geht um den ersten Pavillon herum, durch die vielen, leeren, von Staub und Regen braunen Ravioli- und Bierdosen. Sie fängt an Brains Arm zu bemalen, sie macht das ziemlich gut, sie hat auch genügend platz, denn Brain hat Arme wie andere Schenkel. Es wird eine nackte Frau mit großen Brüsten und einem Schwert. So elegant wie sie das macht, bin ich mir fast sicher, dass sie das Zeug hätte in einem Tätowierstudio zu arbeiten. Sie ist eine dieser Rockerbräute, Wodka aus dem Tetrapack, Headbangen zu Monster Magnet und dabei noch Veganerin.
Jedenfalls kommt Vlog um die Ecke. Vlog, der Betrunkene, der zu viel Trinkende... Er hat eine Glatze und ein Dortmund T-Shirt an. Genauer, er trägt ein "Dort Mund" T-Shirt mit einem Pfeil, der in seinen Schritt zeigt. Er ist der nächste, der den Edding zu spüren bekommt und ihm ist es ja sowieso egal, was man mit ihm macht. Also legt Aska los und bemalt seinen blanken Schädel. Die vorderen zwei Drittel sind letztendlich komplett schwarz, eine schwarz glänzende Jackson-Locke auf der Stirn, ebenso zwei geschwungene Kotletten. Sie schreibt was auf den Hinterkopf und jemand sagt,
“Mal mal ‘nen Riesenpenis“,
worauf hin sie empört entgegnet,
“Bitte? Hallo? Ich habe Niveau, das sieht man doch!“
Auf dem Hinterkopf steht schließlich FREE HUGS!
Das ist sicherlich besser als ein Penis, dennoch wird es Vlog kaum helfen.
Ich gehe mit drei anderen los, Bier in der Hand, Schnaps im Tetrapack. Zwei Typen in verspiegelten Sonnenbrillen spannen ein Seil über den staubigen Weg zwischen den vielen, vielen Zelten. Wir springen locker drüber, auch wenn sich die Welt um mich herum langsam aufzulösen droht. Sie rufen irgendwas hinterher, aber ich kann es nicht verstehen. Musik kommt von allen Seiten, meistens Rock. Ein Kerl haut Kid Rock mit seinem aufblasbaren Bierhalter in den sechs Plastikgläser reinpassen können auf seinen Kopf. Der ist nicht erfreut und schüttet ihm Bier in den Kragen. Daraufhin wird dieser wiederum ernsthaft böse und schüttet sein Bier über Kid Rock. Sie schreien sich an, während sie von allen Seiten mit trunkenen Augen angeschaut werden. Sie geben sich die Hand, umarmen sich, trinken jeder ein Pinnchen Schnaps und gehen wieder auseinander. Kid Rock sieht nicht aus wie Kid Rock, aber man nennt ihn trotzdem so. Als der andere Typ weg ist, sagt er,
“Ich hatte noch zu viel Bier. Das musste weg, weil ich es nicht auf das Festivalgelände mitnehmen kann.”

Bei der Einlasskontrolle sollen wir die Deckel von unseren Tetrapacks abgeben. Auf Festivals, den Horten der Anarchie, lässt man sich nicht gerne etwas sagen, und so können Rebellen hier kleine Siege feiern. Wir gehen aus der Schlange raus, nehmen die Deckel ab, packen sie in unsere Taschen und stellen uns wieder an. Wir passieren die Schranken, holen die Deckel aus den Taschen und schrauben sie wieder auf unsere Tetrapacks.
Ich rauche nicht, aber jetzt stoppe ich einen der vielen Zigarettenverkäufer und kaufe mir eine Packung Marlboro Lights. Ich stelle mich damit an einen der Wellenbrecher und schaue mir Monster Magnet an. Der Sänger ist etwas fett geworden, aber was soll’s, auch Rocker mit “balls made of steel”, wie sie selbst sagen, werden alt. Ich wippe ein wenig mit, Kid Rock labert mit irgendwelchen Tussis. Ich schaue sie mir an. Die eine trägt eine riesige Sonnenbrille, hat große Brüste und ist eigentlich ganz niedlich. Sie sucht Feuer und ich biete ihr meins an. Sie lächelt mich dankbar an und ich drehe mich wieder zur Musik. Sie fängt irgendwann an auf meinem Rücken zum Takt zu trommeln. Ich ignoriere sie. Ich habe keinen Bock drauf und will nur die Bands hören.
Später, als die Tetra Packs leer sind und alles seltsam einfach und fröhlich ist, hüpfen die Leute wie bescheuert herum. Da die Sonne seit Tagen auf den sandigen Boden geschienen hat, werden Milliarden Sand- und Staubkörner zu dicken, braunen Wolken aufgewirbelt. Da kann man noch so viele Zigaretten rauchen, sie können nicht mehr schaden als das. Alle sind dreckig im Gesicht, die Popel sind schwarz, der Dreck in den Augen ist schwarz, alles klebt, alles stinkt.
Aska taucht mit den anderen Chaoten auf. Wir schauen uns die Foo Fighters an und sie kommt ab und zu an, um mit mir rumzuhüpfen. Ich mache mit und wische mir mit den dreckigen Händen durch die Augen um die Staubklumpen rauszuholen. Ich schaue mir den alten Grohl an. Er ist immer noch einer von den Guten. Nur seine Ansagen sind für den Arsch... Ja, krass, “fuck”, jedes zweite Wort, das ist vielleicht in den USA rebellisch. Man kennt den Grohl doch, ihn und seine für gewöhnlich klare, gehobene Sprache.
Ich habe keine Lust auf Aska oder sonstwen, also gehe ich nach dem Konzert alleine in das Bierzelt. Ich glaube es immer noch nicht. Es kann einfach nicht sein, dass ich auf einem Festival bin und dass das einzige was mir imponieren kann, ein Triangelsolo ist.

Ich bin zu alt für den Mist.

Sonntag, 1. Januar 2012

Alle Jahre wieder

Kommt Silvester
Kommen sie aus den Löchern gekrochen
Die nie feiern
Die nie singen
Und ihre Böller in den Himmel schießen
Etwas Zeit gewinnen
Ohne nachdenken
Etwas Zeit verschwenden
Durch den eigenen Smog rennen
Um danach wieder in das System zu springen
Und zu vergessen
Und das gleiche zu sagen was die Vorgänger

Noch drei Monate der Kälte
Vielleicht kommt der Schnee
Vielleicht bleibt es warm
Frühling, Knospen blühen auf, Vögel zwitschern
Kurze Röcke, kurze Nächte,
Familiendrama und Holocaust,
Sommerferien, Sommerloch
Politik, Nahoststabilisierung
Geeintes Europa, Kriminalitätsstatistiken
Terror, Kriege, Wirtschaftswunder
Herbst, Blätter fallen, Vögel gehen
Silvesterplanung
Politiker gestützt
Politiker gestürzt
Schneechaos und die Bahn
Die Bahn!
Der Präsident schickt das Jahr in den Schlaf
Der Weihnachtsmann sorgt für Übergewicht
Die Kanzlerin schickt das Volk ins neue Jahr
Die Mama der Nation

Die Sonne scheint auf eine glatte Schneedecke
Ein Eiszapfen fällt vom Baum
Stille, nur das Knistern des Schnees, wenn man ihn betritt
Auch das ist immer das Gleiche
Nur, dass dies der Seele gut tut