Sonntag, 2. Januar 2011

Dem Kehlmann sein Ruhm und seine Kritiker

Lothar Müller, Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, hat, als der neuste Roman "Ruhm" von Daniel Kehlmann im Jahre 2009 erschienen ist, folgendes über das Werk geschrieben "Es ist auf bemerkenswerte Weise misslungen. Denn es offenbart, erstens, eine Schwäche dieses Autors, seine Grenze: Er kann keine Figuren erfinden, die ihrem Autor ernsthaften Widerstand entgegensetzen, die ihm gegenüber Geheimnisse bewahren, die er nicht auflösen könnte. Und es gründet, zweitens, seine erzählerische Dramaturgie auf eine Theorie, die es sich mit ihrem Gegenstand, den modernen Kommunikationstechnologien, allzu einfach macht."
Nun, das ist die Meinung eines wahren Kritikers - Eines Mannes, der einen Artikel schreibt, damit er gelesen wird und dabei mehr die Tatsache berücksichtigt und ausnützt, dass der Schriftsteller berühmt ist, als den Text, den er kritisiert selbst. Dabei hilft es grundsätzlich zu polarisieren und die eigene Meinung auszudehnen bis ins Extreme. Er schreibt: "Die Dämonen aber, die Abgründe und Alpträume, die es zu enthalten behauptet, enthält dieses Buch nicht." Wenn man den Roman liest, dann kann man eigentlich nicht verstehen, was Herr Müller damit sagen will. Dieses Buch enthält keine Dämonen und Alpträume, es hat es allerdings auch niemals behauptet. Es ist einfach ein gut geschriebener, sehr unterhaltsamer, teilweise spannender Roman, der sich mit Fragen rund um die moderne Kommunikation beschäftigt. Man saugt ihn binnen Stunden in sich auf und er erhält durch die sehr gelungene Verknüpfung von neun kurzen Geschichten eine Tiefe, an die man Tage später noch gerne zurückdenkt. Für mich heißt das: Es ist sehr wohl ein überaus gutes Buch und eine Kritik, die einen Roman, der so viel Spaß macht, derart schlecht beurteilt, lässt an der Objektivität des Kritikers zweifeln. Der Artikel Müllers scheint mehr die schlechte Laune des Redakteurs widerzuspiegeln als die Qualität des Buches. Die meisten Menschen werden Vergnügen beim Lesen des Werkes haben. Natürlich hilft ein solcher Verriss dem Kritiker. Zusammenfassende Berichte berücksichtigen meist gute, aber auch schlechte Kritiken. Somit wird seine, mit die schlechteste, oft, so wie auch hier, erwähnt. An dieser Stelle sollte gesagt werden, dass andere Kritiker von "Weltliteratur" sprechen, sicherlich ist das eine Übertreibung ins andere Extrem, die jedoch mehr zutrifft als ein Zerriss.


Worum es geht:
Zunächst einmal kann man jede der neun Kurzgeschichten für sich lesen und wird in jeder etwas interessantes finden, sei es die Welt eines Internet-Nerds, der sich auf einer Konferenz blamiert, die letzten Tage einer todkranken Frau, die beschließt sich in der Schweiz beim Sterben helfen zu lassen, oder die Erlebnisse eines egozentrischen Schriftstellers.
Ich werde nicht auf jede einzelne Geschichte eingehen, weil man detaillierte Informationen dazu gut auf- und überarbeitet im Internet, zum Beispiel bei Wikipedia finden kann. Es werden nur gewisse Fragmente von mir angesprochen.

Nachdem ich die ersten drei Geschichten gelesen hatte, die wie schon erwähnt sehr facettenreich und unterschiedlich sind, fragte ich mich, warum das Buch den Untertitel 'Ein Roman in neun Geschichten' trägt. Zunächst ergab sich kein Zusammenhang und es schien sich um eine Kurzgeschichtensammlung zu halten. Mit jeder weiteren Erzählung wuchsen aber die Verflechtungen und zum Schluss hin empfand ich das Netz, das gesponnen worden war, als fast genial. Viele der Fragen, die man sich im Verlauf stellte, wurden in den späteren Geschichten aufgeklärt. Warum zum Beispiel, kommuniziert der Schriftsteller in der dritten Erzählung "Rosalie geht sterben" mit der Protagonistin und warum zweifelt diese an seiner Existenz? Viele der Fragen werden beantwortet, wenn man erst einmal versteht, dass zwei der Geschichten von einem der Hauptprotagonisten des Buches, dem Schriftsteller Leo Richter, geschrieben sind. Das erklärt die Eigenarten der dritten Geschichte, die einen zunächst fragend im Raum stehen lässt.

Das Hauptthema, das sich durch viele Teile des Buches zieht, ist die moderne Art der Kommunikation. Ein Mann kauft sich ein neues Handy, welches die Telefonnummer eines bekannten Schriftstellers hat. Er kriegt zahlreiche Anrufe und gibt sich als der Besitzer der Nummer aus, um aus der Langeweile seines eigenen Lebens zu flüchten. Ein Schriftsteller will seinen Ruhm nicht mehr und verliert ihn, da seine Anrufe in dem Moment, in dem er eine Frau trifft, der er nichts von seinem Ruhm erzählen will und deswegen so tut als wäre er ein Imitator seiner selbst, nicht mehr bei ihm eingehen. Ein anderer übernimmt seine Rolle als erfolgreicher Autor. Eine Frau Namens Maria Rubinstein wird auf einer Schriftstellerreise im verarmten Osten vergessen und verliert sich, weil sie nicht in der Lage ist sich ohne die modernen Kommunikationsmittel mit den Fremden zu verständigen. Sie endet als billige Hilfskraft eines Bauern und all ihr Ruhm ist binnen Tagen nichts mehr wert. Die Frau ist für den Protagonisten Leo Richter geflogen, der die Reise abgesagt hat, weil er in der ersten Geschichte des Buches die Nase voll hat von den Terminen mit den Goethe-Instituten in denen er immer wieder die gleichen Fragen beantworten muss. Es gibt viel mehr zu schreiben, aber wer interessiert ist, sollte lieber das Buch lesen, um nicht alle Verflechtungen schon im Vorhinein zu kennen.

Nun zurück zur Kritik:
"Er gründet seine erzählerische Dramaturgie auf eine Theorie, die es sich mit ihrem Gegenstand, den modernen Kommunikationstechnologien, allzu einfach macht."
Müller behauptet, Handys wären nicht nur Instrumente der Anonymisierung, sondern auch der Identifizierung und eine Geschichte wäre zu einfach gestrickt, wenn ein Schriftsteller seine Identität an einen Mann abgibt, der seine Handynummer zugeordnet bekommen hat. Das ist wahr. Es ist erscheint zunächst wenig realistisch, dass ein Fremder das Leben eines Anderen ohne weiteres übernehmen kann. Und doch, erstens will der Schriftsteller seinen Ruhm nicht mehr und es kommt ihm geradezu gelegen, dass er plötzlich nicht er selbst zu sein scheint, zweitens ist die Geschichte nicht beendet und wir sehen nur eine Momentaufnahme. Natürlich könnte der Mann, wenn er wollte, die modernen Kommunikationsmöglichkeiten auch nutzen, um seine Identität zurückzuholen. Ob er das macht, wird aber einfach nicht beantwortet und so ändert dieser Kritikpunkt nichts, er zielt ins Leere, Ungewisse, Offengehaltene.

"Sie [die Charaktere Kehlmanns] leiden nicht wirklich, sie besitzen keine Schärfe und eigentlich auch keinen Charakter."
Natürlich ist es schwieriger den Figuren einen Charakter zuzuordnen, wenn sie nur in einzelnen Geschichten und nicht im gesamten Roman auftreten. Teilweise haben sie dadurch weniger Schärfe, aber im Wesentlichen kann man nicht von Mangel an Charakter sprechen. Wenn ich zurückdenke an den Schriftsteller Leo Richter und Maria Rubinstein, den intenetabhängigen Mollowitz, oder die Sterbehilfe suchende Rosalia, dann habe ein klares Bild dieser Menschen und ihren Charakter vor Augen.

Ein Abteilungsleiter hat neben seiner Frau eine Affäre und der Kritiker schreibt:
"Damit, dass die Technologien der Überwachung und des Misstrauens denen denen des Lügens und Täuschens ebenbürtig sein könnten, rechnet er [Kehlmann] nicht."
Er sieht es als Unstimmigkeit an, dass der Mann mit seiner Zweitbeziehung durchkommt, doch es ist keine. Viele Frauen würden das Internet und das Mobiltelefon dazu nützen dem Mann auf die Schliche zu kommen. Andere jedoch nicht. Der Kritiker behauptet fast schon, dass sich alle Menschen gleich verhalten würden, um Kehlmann kritisieren zu können. Mir kommt es so vor, als hätte er zunächst beschlossen einen Artikel gegen den jungen Autor zu schreiben und als hätte er erst danach nach Argumenten gesucht, die seine These unterstützen. Mir gefiel der Roman gut bis sehr gut, denn er bietet wirklich etwas Neues.

Die Kritik Müllers ist bemerkenswert misslungen. Sudoku ist doch ein Roman. Kehlmann: 4.5 von 5, Müller 0 von 5 Punkten.