Samstag, 20. November 2010

Als J. D. Salinger nie wieder arbeiten musste

Jerome David Salinger ist Anfang dieses Jahres gestorben. Plötzlich war dieses Buch wieder in den Medien, das er 1951 veröffentlicht hatte: "Catcher in the Rye", oder "Der Fänger im Roggen" wie es auf Deutsch später übersetzt wurde. Es ist ein Buch, das etwa 65 Millionen Mal verkauft worden ist, so oft wie "Der Alchemist" oder "Der kleine Prinz". 65 Millionen! Das muss man sich erst mal vorstellen... als hätte es jeder einzelne Franzose bei sich im Regal stehen. Es gehört zu den zehn meistverkauften Romanen, die je geschrieben worden sind. Der Titel erweckte mein Interesse, noch mehr fand ich aber die Tatsache spannend, dass dies der einzige Roman war, den Salinger in seinen 91 Jahren auf der Erde veröffentlicht hatte. Nachdem der Erfolg schlagartig eingesetzt hatte, zog sich der Schriftstller in den 50gern zurück und brachte kein vergleichbares Werk heraus.

Nun, das in meiner Ausgabe knapp 270 Seiten lange Buch ist kurzweilig. Es ist schnell durchgelesen und saugt einen in die Handlung hinein. Und dennoch, wäre es in den letzten Jahren erschienen, es wäre vielleicht kein großer Erfolg geworden. Ich denke damals hat es die Weichen gestellt für viele spätere Romane der Gegenwartsliteratur, die sich mit sozialen Missständen, Alkohol und den Problemen mit dem Erwachsenwerden auseinandersetzten. Insbesondere die einfache, dem Protagonisten angepasste Sprache, ist charakteristisch und der Stil wurde später vielfach kopiert. Gerade dadurch, dass so viele Romane folgten, die ähnlich geschrieben sind und ähnliche Probleme schildern, hat es sicherlich nicht mehr den Reiz, den es vor 60 Jahren hatte. Wenn man es allerdings in dem Vorreiter-Kontext betrachtet, in dem es zu sehen ist, wird es schon wieder interessanter. Ich persönlich finde es erstaunlich, dass die Probleme, die die Jugend heutzutage hat, denen in den Vierzigern in New York so ähnlich sind. Dagegen wirken die Erinnerungsfragmente aus dem polnischen Kommunismus, die ich noch vage in meinem alternden Schädel aufrufen kann, wie ein Relikt aus der Steinzeit.

Zunächst sollte ich erklären, worum es überhaupt geht. Holden Caulfield, ein 16jähriger Junge, ist der Protagonist der Geschichte. Er hat viele biographische Merkmale, die auf Salinger zutreffen, insbesondere ist er auch in New York groß geworden und hatte dort mit den üblichen Großstadtproblemen zu tun. Wie viel genau von der Geschichte auf den Autor zutrifft, ist schwer zu sagen.
Caulfield fliegt von seiner Schule, weil er einfach überall schlechte Noten hat. Er hat in der elitären Einrichtung, die er besuchen muss, keine Freunde gefunden und kommt dort so ziemlich mit niemandem zurecht. Die einzigen, die er überhaupt noch als okay bezeichnet, sind die wenig erfolgreichen, oder hässlichen, oder unglücklichen. Die normalen hält er grundsätzlich alle verlogen und man kann schon an der Grundhaltung Holdens lesen, dass er nicht glücklich ist. 

Holden Caulfield haut ab, fährt zurück nach New York, wo er aber nicht zu seinen Eltern fährt, sondern das viele Geld, das er von ihnen hat, verprasst. Der Handlungsstrang ist bescheiden. Er geht in ein Hotel, geht in eine Bar, kann dort wegen seines Alters nur Cola trinken, tanzt mit drei älteren Frauen, zahlt ihre Drinks, geht deprimiert zurück ins Hotel, lässt sich eine Hure auf sein Zimmer bringen, mit der er dann doch nur reden will, schickt sie wieder weg, prügelt sich (lässt sich verprügeln)... und so weiter und so fort. Die Handlung ist im Hintergrund, im Vordergrund sind seine Beobachtungen, denn er verhält sich wie ein Schriftsteller, zurückhaltend, beobachtend, beurteilend. In diesem Fall, verurteilend. Oft steckt man in seinem Kopf, in dem es meist um Frauen geht, oft aber auch um seine Familie, um seine Schwester, aber noch öfter um seinen verstorbenen Bruder mit dessen Tod sein eigenes Elend überhaupt erst angefangen hatte.
In all seinem Tun klingt der Verdruss durch und die gesamte Handlung kann man interpretieren als Kritik der Verlogenheit Amerikas in seiner Zeit. Es wiederholen sich immer wieder Sätze wie "die machten mich fertig", "das deprimierte mich" oder "es machte mich wahnsinnig". Das Wort "goddam" kommt in der Originalausgabe laut Wikipedia 255 Mal vor. Der Junge wird nicht glücklich... bis... Na, ob er abstürzt, wegrennt, glücklich wird oder stirbt, das soll hier nicht verraten werden. Nur soviel, er ist der Fänger im Roggen, und dieser tut wahrlich Gutes.

Das Buch wird sicherlich denjenigen gefallen, die Schriftsteller wie Hornby, Dijan, Bukowski oder Celine mögen. Es ist eine gute Geschichte für zwischendurch für Leute, die sich mit Gesellschaftskritik in dieser Form anfreunden können - für Fans hochtrabender Sprache und einzig den schönen Dingen im Leben vielleicht nicht. Mir persönlich hat es Spaß gemacht es zu lesen, auch wenn es nicht ein Erlebnis war wie bei Hemingways alten Mann oder bei Celines Reise ans Ende der Nacht.